Bunter Straßenfußball für alle
Am 18. Mai ist der Deutsche Diversity-Tag, ein Aktionstag für mehr Vielfalt in unserer Gesellschaft und in unserer Arbeitswelt. Ein guter Anlass, buntkicktgut vorzustellen – ein Projekt, das Kinder und Jugendliche aus aller Welt zusammenbringt, um gemeinsam Straßenfußball zu spielen. Dabei ist es egal, wo man herkommt oder wie man aussieht. Wichtig ist nur, was man kann und dass man den Fußball liebt. Je bunter, desto besser.
„Bei einem Training mit Flüchtlingen 2015 habe ich in die Runde gefragt, wer welche Sprache spricht. Am Ende habe ich gefragt: Und wer spricht Fußball? Da gingen dann alle Hände hoch.“
Beim Fußball zählt nicht, woher du kommst, sondern was du draufhast. Das weiß kaum jemand so gut wie Rüdiger Heid. Der 64-Jährige ist Leiter von buntkicktgut, ein Projekt für organisierten Straßenfußball, das sich an sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche richtet, häufig mit einem Flüchtlings- und Migrationshintergrund. Dabei stehen interkulturelle Verständigung, Wertevermittlung und Prävention im Vordergrund.
Die Idee entstand 1996, als viele Balkanflüchtlinge nach München strömten. Um ihnen die Integration zu erleichtern, organisierte Heid regelmäßige Straßenfußballturniere. Denn Fußball kennt jeder, Fußball funktioniert überall. Das Grundgerüst ist weitgehend gleichgeblieben, das Projekt ist seitdem aber stetig gewachsen. Mittlerweile finden in München rund 1.500 Ligaspiele an 200 Spieltagen pro Saison statt. Und auch über die bayrische Landeshauptstadt hinaus wird bunt gekickt: So gibt es heute auch Standorte in Berlin, Hamburg, Ludwigshafen, Dortmund, Düsseldorf, Niederbayern, Oberschwaben, Zürich, Basel und sogar im westafrikanischen Togo.
Die rund 1.000 Kinder und Jugendlichen, die buntkicktgut aktuell in München wöchentlich bewegt, stammen aus über 120 verschiedenen Nationen und kommen unter anderem aus Flüchtlingsunterkünften, Freizeitheimen, Schulen oder Sportvereinen. Gespielt wird in sechs Altersklassen oder Kategorien: U11, U13, U15, U17, Ü17/Senior und Ladies. Viel wird dabei von den Jugendlichen selber organisiert; auch die Regeln bestimmen sie im eigenen Liga-Rat selbst. „Wir sagen immer: Ihr seid buntkicktgut. Es ist von euch für euch“, sagt Leiter Heid.
Die Teams sind dabei so divers wie möglich; das wird sogar belohnt. Am Ende eines Turniers wird nicht nur der sportliche Sieger gekürt, auch das bunteste Team der Spielerinnen oder Spieler aus den meisten Nationen wird ausgezeichnet – außerdem bewerten sich die Teams gegenseitig für Fair Play und bekommen Punkte für ihre organisatorische Leistung.
Das Projekt ist für den pädagogisch erfahrenen Sozialgeografen Heid seit über 25 Jahren eine Herzensangelegenheit. Diese verfolgt ein klares Ziel: buntkicktgut verschafft den Jugendlichen Anerkennung und Erfolgserlebnisse, die ihnen sonst im Alltag verwehrt bleiben. Dabei lernen sie einen respektvollen Umgang, das Einhalten von Regeln, eine gelebte Diskussionskultur und gewaltfreies Konfliktmanagement. Heids Appell an seine Kicker: „Seid stark, seid mutig, traut euch was. Aber seid immer auch respektvoll. Und seid auch neugierig, was die anderen ausmacht.“ Nur mit dieser Empathieentwicklung könne Gemeinsamkeit entstehen, in der trotzdem jeder seine eigenen Werte und Interessen ausleben kann. „Wir sind ein Team und eine Familie – und trotzdem muss jeder für sich schauen, wie er sich mit seinen Stärken und Schwächen durchs Leben kämpft“, sagt Heid.
Die Kraft des Projekts liegt dabei in der Kontinuität, der Regelmäßigkeit der Trainings und des Ligabetriebs, die es sonst im Straßenfußball weniger gibt. „Das schafft Struktur und Nähe und somit auch Vertrauen“, sagt Heid. Dabei will er aber nicht als Autoritätsfigur ständig den Finger heben. „Die Kids sollen sich gegenseitig die Werte vermitteln. Das Wichtigste ist, dass sie spüren, dass sie ernst genommen werden“, sagt Heid.
Kam es anfangs noch vermehrt zu Schlägereien, ist Gewalt mittlerweile kaum noch ein Problem, auch weil buntkicktgut viel präventiv arbeitet und wenn möglich den Kindern schon im Grundschulalter Tools zur friedlichen Konfliktbewältigung mitgibt. Heid erklärt: „Wir suchen auch bewusst Konflikte, denn nur an Konflikten kannst du lernen.“
Eines ist und bleibt aber ein absolutes Tabu: Drogen. „Wenn Jugendliche ins Drogenmilieu abrutschen und das schnelle Geld machen wollen, versuchen wir, sie wieder zurückzuholen. Aber irgendwann sind auch unsere Einsatzmöglichkeiten begrenzt“, sagt Heid. Dabei ist der Leiter immer von einer zweiten Chance überzeugt. Zwar musste er schon öfter Kinder von buntkicktgut ausschließen, grundsätzlich gibt es aber immer eine Rückkehrmöglickeit, die mit einem Entschuldigungsbrief an den Liga-Rat beginnt.
Fotos: © buntkicktgut
Fotos: © buntkicktgut
Die häufigsten Probleme sind aktuell eher fehlende Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Themen, die auch in der Schule und in der Berufsfindung eine wichtige Rolle spielen. Derzeit beschäftigt die Organisation, die in München von Stiftungen, primär aber vom städtischen Jugendamt finanziert wird, auch fünf Azubis. Diese kommen oft aus den eigenen Reihen, sodass buntkicktgut auch berufliche Perspektiven für seine Kicker schafft.
Leiter Rüdiger Heid, den alle nur Rudi oder auch Papa Rudi nennen, kennt aus über 25 Jahren Erfahrung viele positive Beispiele von ehemaligen „Problemkindern“, die heute mit beiden Beinen im Leben stehen. „Viele, die in der Jugend Probleme gemacht haben, sind heute Familienväter und können über ihre Dummheiten von damals lachen“, erzählt Heid.
Konflikte entstehen heute auch aus innerfamiliären Streitigkeiten. So kamen häufig Mädchen zu Heid, mit dem Wunsch, heimlich mitzuspielen, weil Brüder oder Eltern das Fußballspielen verboten hatten. Mit viel Einfühlungsvermögen konnte der Leiter die Familien dann aber oft überzeugen. Die kickenden Mädchen, die entweder mit den Jungs spielen können oder auch in einer eigenen Mädchen-Liga, machen einen großen Teil des Projekts aus.
Ab und zu ist aber auch Heid machtlos. Ein Junge, der sich schon früh im Flüchtlingsheim auffällig verhielt, wurde später vom sogenannten „Islamischen Staat“ radikalisiert und schließlich von den Behörden abgeschoben. Generell ist die Abschiebung von friedlichen Mitgliedern seines Projekts das Worst-Case-Szenario für den Leiter. Oft konnte er Abschiebungen aber auch verhindern, indem er mithilfe von Medien, Öffentlichkeitsarbeit und Petitionen Druck aufbaute. „Das ist dann eine schöne Belohnung für die eigene Arbeit“, sagt Heid.
Bei allen Problemen im täglichen Umgang mit den Jugendlichen sind es auch die fußballerischen Erfolgserlebnisse, die Heid antreiben. So kam Albion Vrenezi als kleiner Junge als Kosovo-Flüchtling nach München und machte bei buntkicktgut seine ersten Schritte im Fußball. Heute ist er beim Zweitligisten Jahn Regensburg Profifußballer. Auch Robert Glatzel von Mainz 05 oder der ehemalige Bayern-Profi Diego Contento kickten einst bei dem Münchner Straßenfußball-Projekt.
Zwar scouten die Profiklubs immer früher Kinder für ihre Nachwuchsleistungszentren, trotzdem lassen sich auf der Straße wichtige Skills lernen, die auch im Profifußball wichtig sind. „Das Technische, das Dribbling, diese spielerische Leichtigkeit, aber auch die Zweikampfhärte, all das lernt man am besten auf der Straße“, sagt Heid, der mit buntkicktgut auch mit dem FC Bayern kooperiert. Wenn jemand besonders auffällt, kann er das Talent zum Beispiel beim FC Bayern Youth Cup vermitteln. Im Rahmen des eigenen Talentförderungsprogramms bestehen auch Kontakte zu anderen Profiklubs der Region wie 1860 München, Augsburg, Nürnberg, Regensburg undIngolstadt.
Aktuell wird auch buntkicktgut von Corona ausgebremst. Der Ligabetrieb ist ausgesetzt, vereinzelt gibt es Trainings in Schulen. Die bundesweite Schulung für Street und School Football Worker, in früheren Jahren zweimal jährlich für alle Standorte als viertägige Präsenzveranstaltung, findet dieses Jahr mit zehn Einheiten als Online-Workshop statt. Online-Tutorials und Challenges ergänzen diesen digitalen Auftritt.
Doch die Bolzplätze füllen sich langsam wieder. Und sie sind und bleiben bunt. In Zeiten der wachsenden Isolation ist die vereinende Kraft des Fußballs wichtiger als je zuvor. Um Menschen wieder zusammenzubringen und kulturelle Hindernisse zu überwinden. Denn Fußball spricht bei buntkicktgut jeder fließend.