Geisterspiele: The New Normal
Die Bundesliga ist zurück. Der erste Geisterspieltag ist vorbei. Wie war das? Erwartet ungewohnt und überraschend distanziert. Aber ob ich es mag oder nicht: Spiele ohne Fans im Stadion sind der neue Normalzustand. Wir werden uns dran gewöhnen.
Der erste Geisterspieltag ist gespielt, mein Herzensverein hat gewonnen und segelt unaufhaltsam auf Kurs Europapokal. Läuft. Eigentlich. Aber große Freude, die Becker-Faust im Wohnzimmer bei jedem Tor, ein leicht entrücktes Grinsen nach drei Punkten, das das ganze Wochenende nicht verschwindet? Dafür reicht es nicht ganz, zu anders, zu ungewohnt fühlen sich Geisterspiele noch an.
Dabei habe ich flotten Fußball gesehen. 27 Tore in neun Spielen, fünf Auswärtssiege, die eine oder andere Überraschung – das ist gute Unterhaltung. Aber in den Stadien kein Raunen und Johlen, kein Pfeifen und Kreischen, kein Klatschen und Singen. Alles irgendwie dumpf ohne ... Fans. Das war ja zu erwarten. Aber wenn man es dann zum ersten Mal live erlebt, ist es doch überraschend klinisch und distanziert, ohne Menschen im Stadion, die emotional Achterbahn fahren.
Und ich zu Hause? Ich habe die ersten 25 Minuten dagesessen und alles aufgesogen. Glücklich, endlich wieder Fußball schauen zu können. Was ich sah, hatte nicht ganz die Sogwirkung wie sonst. Also begann ich, nebenbei Wäsche aufzuhängen, ich war nicht die ganze Zeit voll fokussiert beim Spiel. Ein bisschen wie Homeoffice, nur eben mit Fußball gucken.
Es ist einfach anders
Es sind eben verrückte Bundesliga-Zeiten. Ein Trainer wird sanktioniert, weil er die Hotel-Quarantäne verlässt, um Zahnpasta und Hautcreme zu kaufen. Journalisten stehen maskiert auf der Tribüne und interviewen Trainer, die eine Etage tiefer im Innenraum Fragen beantworten. Nach Erling Haalands Tor – dem ersten nach Wiederanpfiff der Bundesliga – wundere ich mich erst mal über die seltsame Jubelchoreografie. Was wackeln die da mit zwei Meter Abstand voreinander rum? Ach ja, die Abstandsregeln gelten ja auch hier. Für einen Moment hatte ich es vergessen. Auch eigenartig, wenn die Vereinshymne das Stadion erfüllt und die Mannschaftaufstellung für niemanden – bis auf die TV-Kameras – auf riesigen Videoleinwänden gezeigt wird. Der Torjingle ertönt und wird einfach so verschluckt im weiten Rund. Derbysieger jubeln unsichtbaren Fans auf einer leeren Tribüne zu.
Es gibt aber auch viele Momente, die haben etwas. Das Spiel klingt jetzt ganz anders. Einmal bin ich richtig zusammengezuckt – als ein Stürmer meines Lieblingsvereins den Ball ans Lattenkreuz schlenzte. Klatsch, ein lautes Schmatzen, Fußball pur. Ein wunderschönes Geräusch. Es gibt weniger Theatralik im Spiel, bei den Trainern und den Spielern, die sich generell der Situation angemessen verhalten. Und wer sich für Taktik interessiert, kann jetzt Spielern und Trainern dabei zuhören, was sie sich zurufen. Man kann versuchen, die Anweisungen und Schreie, die durch die leeren Stadien hallen, zu dechiffrieren und das Spiel besser zu verstehen. Das hat was.
Am Wochenende geht es weiter. Werde ich mich an Bundesliga-Fußball, der ein bisschen ist wie ein Kreisklassenkick mit zu viel Hall, weiter gewöhnen? Und wie geht es sportlich weiter? Gibt es überhaupt noch einen Heimvorteil, wenn kaum einer im Stadion ist? Werden sich die Teams mit der nominell besseren Kaderqualität durchsetzen, weil den Außenseitern der zwölfte Mann fehlt? In den nächsten Wochen werde ich es herausfinden. Ich bin wirklich gespannt.