"Ich war schockiert."
Josuha Guilavogui über die jüngsten Vorfälle in Paris, seine Erfahrungen mit Rassismus auf dem Platz - und die Bedeutung von Vielfalt im Fußball. #WeDriveDiversity
Sie tragen als Kapitän des VfL Wolfsburg nun schon in der dritten Saison die Regenbogen-Binde am Arm. Was bedeutet Ihnen das, Herr Guilavogui?
Sehr viel. Und mich macht es sehr glücklich, wenn ich sehe, dass immer mehr Kapitäne anderer Klubs ebenfalls dieses Zeichen auf den Platz tragen. Wir wollen damit verdeutlichen, dass wir uns für Vielfalt und gegen Diskriminierung einsetzen. Wir haben gerade erst in Paris gesehen: Die Probleme sind noch lange nicht beseitigt.
Sie sprechen den Spielabbruch in dem Champions-League-Spiel zwischen Paris Saint-Germain und Basaksehir an, nachdem der Vierte Offizielle den Basaksehir-Assistenztrainer Pierre Webo als "negru" bezeichnet hat. Wie haben Sie dies wahrgenommen?
Ich war schockiert. Ich habe es erst auf Twitter mitbekommen, dann habe ich rübergeschaltet nach Paris. Ich bin ehrlich: Ich glaube nicht, dass der Schiedsrichter ein Rassist ist. Und jeder kann einen Fehler machen. Trotzdem müssen wir alle aufpassen bei unserer Wortwahl, auch wenn es ganz unbewusst passiert. Wir befinden uns im Kampf gegen den Rassismus. Leute wie er haben eine Verantwortung, wir müssen alle konsequent handeln. Die Regenbogenfarben, die UEFA-Aktion "Say no to racism", das dürfen nicht nur Kampagnen sein. Wir müssen es leben!
War es richtig, dass beide Mannschaften das Spielfeld verlassen haben?
Ja, das war es. Ich hätte es auch so gemacht. Vor einiger Zeit wurde auch der Porto-Stürmer Moussa Marega von gegnerischen Zuschauern rassistisch beleidigt. Er wollte anschließend nicht mehr weiterspielen, ließ sich auswechseln. Ich habe damals mit meinem Mitspieler Maximilian Arnold darüber geredet. Er hat mir gesagt: Wenn dir so etwas mal passieren sollte, gehen wir gemeinsam vom Platz. Das fand ich stark von ihm. In Paris war es nun das erste Mal, dass beide Mannschaften runtergegangen sind. Und ich hoffe, es war das letzte Mal. Wenn es solche Fälle gibt, egal ob rassistischer oder homophober Natur, dann muss es aufhören. Da darf es keine Toleranz geben.
Gab und gibt es auf Ihre Kapitänsbinde ausschließlich positive Resonanz?
Viel mehr positive, und das freut mich. Negative Reaktionen gibt es ausschließlich in den sozialen Medien, wenn die Menschen aus der Anonymität heraus beleidigen und sich verstecken können. Das ist auch bei mir passiert.
Lesen Sie diese Nachrichten?
Ja, natürlich. Ich werde von Menschen beleidigt. Aber ganz ehrlich: Das berührt mich nicht. Ich kenne diese Leute nicht. Sie sitzen hinter einem Laptop oder vor dem Handy. Ich glaube eher, dass sie generell ein großes Problem haben. Und das zeigt mir außerdem, dass es noch wichtiger ist, unsere Aktionen fortzuführen.
Macht es Sie betroffen, wenn wie nun kürzlich passiert, Kollegen wie Bayerns Alphonso Davies im Internet aufs Übelste beleidigt werden?
Natürlich. Auch wenn es schwerfällt: Man darf so etwas nicht an sich heranlassen. Die sozialen Medien bieten viele tolle Möglichkeiten, geben aber feigen Menschen auch die Chance, andere zu beleidigen und zu bedrohen. Diesen Menschen darf man nicht das Gefühl geben, dass sie wichtig sind.
Zeigen diese Dinge, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Diversität selbstverständlich ist?
Ja. Aber ich denke auch, dass wir schon viele Schritte weiter sind als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Es ist viel passiert, aber es geht immer noch mehr. Wir müssen aktiv bleiben. Ich denke, der Sport spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Wenn ein Junge ins Stadion geht, unterstützt er seine Mannschaft. Ihm ist es egal, aus welchem Land die Spieler kommen, welche Hautfarbe sie haben. Er sieht Fußball. Wir haben eine große Verantwortung. Ganz stark fand ich die Aktion in diesem Jahr von Mainz 05. Ein Fan äußerte sich negativ über zu viele schwarze Spieler in der Mannschaft. Der Klub veröffentlichte dies und teilte ihm mit, dass sie Mitglieder wie ihn nicht haben wollen. Bravo!
Haben Sie selbst schon Rassismus im Stadion oder auf dem Platz erleben müssen?
Es ist lange her. Einmal in der U19, ich war größer als viele andere, da wurde bei einem Spiel gefragt, was denn dieser Schwarze hier machen würde. Und in einem Restaurant in St.-Etienne wurde ich mal beleidigt. Ich spielte bei ASSE, der Mann gratulierte zunächst noch ganz freundlich zum Sieg. Als dann die Kinder an unserem Tisch mit der Zeit herumliefen und etwas lauter wurden, sagte er irgendwann, wie seien hier nicht in Afrika. Er hatte getrunken, seiner Familie war es wahnsinnig peinlich.
Wie haben Sie reagiert?
Ganz ehrlich: Ich wollte erst auf ihn losgehen. Aber ich habe mir zum Glück direkt gedacht, dass das nichts bringt. Ich bin rausgegangen.
Wie empfinden Sie das Leben in Deutschland?
Wunderbar. Sonst wäre ich nicht schon so lange hier. Ich habe hier noch keinen Rassismus gegen mich oder meine Familie erlebt. Wir fühlen uns in Wolfsburg total wohl.
DFB-Präsident Fritz Keller sagte kürzlich in der ARD: "Ich halte den Männerfußball nach wie vor für sehr homophob." Hat er Recht?
Schwer zu sagen. Ich sehe auch hier eine positive Entwicklung hin zu mehr Offenheit und Toleranz. Aber der Fußball ist auch ein Spiegelbild der Gesellschaft, und da gibt es in allen Bereichen noch viel zu tun.
Hätte ein Fußballprofi, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennen würde, ein Problem?
Ich hoffe es nicht, aber ich kann es nicht abschließend beurteilen. Im Stadion kann das sein, denn auch da gilt wie im Internet: Wenn Menschen sich in der Masse verstecken können, sinkt ihre Hemmschwelle. Und wir müssen auch klar feststellen: Der Frauenfußball ist in diesem Bereich schon viel weiter. Dort interessiert eigentlich nur der Sport. Da müssen wir Männer hinkommen.
Wenn ein Mitspieler zu Ihnen käme und Sie um Rat bitten würde, ob er sich outen soll: Was würden Sie ihm als Kapitän antworten?
Ich würde ihm diese Entscheidung überlassen. Aber ich würde ihm versichern: In unserer Mannschaft hätte er damit kein Problem!
Quelle: kicker, Autor: Thomas Hiete