Generation Geisterspiele
Der Geist von Malente legte 1974 den Grundstein für den zweiten WM-Titel. Heute erfüllt ein anderer Geist alle Stadien. Eine verrückte Bundesliga-Saison geht zu Ende. Aber wie geht’s weiter?
Anpfiff zum letzten Spieltag. Auch wenn der Dauermeister wie üblich bereits feststeht, entscheiden sich am 34. Spieltag die eigentlich spannenden Duelle um Abstieg, Relegation und die Teilnahme am Europapokal. Also alles wie immer oder war da was? Ach ja, richtig, Shutdown, Lockdown, Bundesliga-Down. Was war das für ein verrücktes Frühjahr. So ein bisschen wie bei Windows, wenn der PC plötzlich ausgeht und irgendwann im „abgesicherten Modus“ wieder hochfährt. Irgendwie kommt man klar, aber schön ist anders.
Es sprießt ein zartes Pflänzchen
In Bezug auf die Bundesliga lässt sich immerhin festhalten: Wir erleben Historisches. Ganz sicher werden wir unseren Kindern und Enkelkindern von dieser Zeit erzählen, als wegen eines Virus das Leben monatelang zum Stillstand kam – auch der Fußball. Weil das alles gerade so historisch ist, lasse ich mir den anstehenden Geisterspieltag der Bundesliga in seiner mannigfaltigen Sonderbarkeit nicht entgehen. Danach werde ich inständig flehen, dass dies doch bitte, bitte der letzte seiner Art gewesen sein möge. Hoffentlich hat es sich bald ausgegeistert. In Dänemark wurden am vergangenen Wochenende bereits 3.000 Fans zum Kopenhagener Derby zugelassen. Es sprießt also ein zartes Pflänzchen Hoffnung. Hoffnung auf Bundesliga mit Zuschauern – zumindest in meinem Kopf, in Fanforen sowie in den Führungsetagen der Vereine und des Verbandes.
Ich hatte und habe nichts gegen den Re-Start einzuwenden, das Hygienekonzept in Deutschland und Dänemark hat aus der Ferne beobachtet gut funktioniert. Während zum Beispiel Niederländer und Franzosen ihre Saison vorzeitig beenden mussten, haben die Deutschen – wie allgemein bei der Corona-Krisenbewältigung – auch bei der möglichst risikolosen Organisation der restlichen Bundesligaspieltage eine ziemlich gute Figur abgegeben. Da haben wir mal wieder ein Klischee bestätigt: Regeln aufstellen und diszipliniert einhalten, das können wir 1a!
Ich will mehr davon
Mit dem Re-Start haben nicht nur die deutschen Fußballfans, sondern auch Sportfans aus aller Welt aufgeatmet: Nach tristen Wochen ohne Kontakt zu Freunden und Kollegen, mit geschlossenen Spielplätzen und Social Distancing bis an die Schmerzgrenze kehrte mit König Fußball etwas mehr Lebensfreude in den Alltag zurück. Packende Duelle im Tabellenkeller, kuriose Leistungsschwankungen bei Champions-League-Kandidaten und wie immer: Diskussionen über die Video-Schiris im Kölner Keller. Andere Top-Ligen haben das deutsche Hygienekonzept studiert und nach und nach adaptiert. In weiten Teilen Europas rollt der Ball jetzt wiedervor weitgehend leeren Zuschauerrängen.
So weit, so gut. Aber mir reicht das nicht. Ich lechze nach mehr, muss mich aber weiterhin gedulden. Einmal noch Geisterspieltag, danach Relegationsspiele, DFB-Pokalfinale und die Europapokal-Entscheidungen im August. Und dann: Ende Gelände, Goodbye Geisterspiele, Ciao Corona? Wie auch immer die neue Saison beginnt: „Lebbe geht weider“, wie eine serbisch-hessische Trainerikone mit Schnauzbart und Trenchcoat einst philosophierte. Oder doch nicht so richtig? Kommt die zweite Pandemiewelle im Herbst? Wird der ersehnte Corona-Impfstoff erst Mitte 2021 fertig? Wann dürfen Fans wieder ins Stadion? Sind wir jetzt die Generation Geisterfußball? Ich will gar nicht daran denken. Lieber schnell ablenken. Zum Glück ist bald Anpfiff.