Titel mit Verspätung
Der Europapokal der Nationen geht 1964 in die zweite Runde. Dieses Mal mit deutlich gestiegenem Interesse der nationalen Fußballverbände. Spanien gewinnt die Neuauflage des Turniers, das sowohl bei Fans und Verbänden merklich an Prestige gewinnt.
Zeitgeist
1964 ist die Welt politisch und popkulturell im Auf- und Umbruch. Der Vietnamkrieg eskaliert und wird zum Stellvertreterkrieg, die europäische Studentenbewegung formiert sich weiter, Dr. Martin Luther King bekommt den Friedensnobelpreis und die Beatles erobern die USA. Vier Jahre nach dem ersten „Europapokal der Nationen“, wie das Turnier offiziell nach wie vor heißt, findet 1964 in dieser aufgeheizten Atmosphäre die zweite Auflage des weiterhin kritisch beäugten Wettbewerbs statt. Im Gegensatz zur Erstauflage melden sich dieses Mal 29 Nationen für die Qualifikationsspiele (von 33 möglichen UEFA-Mitgliedsverbänden). Die Bundesrepublik Deutschland ist wie 1960 nicht dabei, da Bundestrainer Sepp Herberger das Turnier weiterhin als „reine Zeitverschwendung“ ansieht. Gespielt wird ab Sommer 1962 wieder im K.-o.-System mit Hin- und Rückspiel, die Endrunde findet vom 17. bis 21. Juni in Spanien statt. Das spanische Team, das 1960 von Diktator Franco gehindert wurde, im Viertelfinale gegen Erzfeind UdSSR anzutreten, gerät dieses Mal nicht zwischen die politischen Fronten des Kalten Krieges. Stattdessen kommt es im Finale zum sportlichen Duell der beiden ideologisch verfeindeten Fußballnationen. Eine bessere Dramaturgie hätte man sich nicht ausdenken können.
Ausgangslage
Titelverteidiger UdSSR geht als großer Favorit ins Turnier. Ein mögliches Aufeinandertreffen mit der ebenfalls hochgehandelten Nationalmannschaft Spaniens gibt der Endrunde nach dem großen Eklat vier Jahre zuvor einmal mehr eine weltpolitische Brisanz.
Spielorte & Stadien
Mit Spaniens Qualifikation für das Halbfinale steht auch das Gastgeberland für die fünftägige Endrunde fest. Die vier Partien (Halbfinale, Spiel um Platz drei, Finale) finden abwechselnd in zwei der spektakulärsten und größten Stadien Europas statt: Camp Nou in Barcelona und Madrids Estadio Santiago Bernabéu. Auch dank Spaniens Durchmarsch finden die Spiele im Gegensatz zur ersten Europameisterschaft vier Jahre zuvor in Frankreich vor einer mitunter beeindruckenden Kulisse statt (Ausnahme: Spiel um Platz drei im Camp Nou, das mit lediglich knapp 4.000 Zuschauern einem Geisterspiel gleicht). Allein dem Finale in Madrid zwischen Spanien und der UdSSR wohnen knapp 80.000 ekstatische Fans bei.
Europameister
Spanien. Im Finale gegen die Sowjetunion setzen sich die Spanier durch ein spätes Tor von Martinez in der 84. Minute durch. Wie schon im Finale 1960 fällt die Entscheidung sechs Minuten vor Spielende (damals allerdings in der Verlängerung).
Torjäger
So wie auch 1960 teilen sich mehrere Spieler die Torjägerkrone der Endrunde. Spaniens Jesús Maria Pereda und die beiden Ungarn Dezső Novák und Ferenc Bene trafen jeweils zwei Mal. Die Qualifikationsspiele mit eingerechnet ist aber Dänemarks Fußballer des Jahres 1964, Ole Madsen, mit elf Treffern der Toptorjäger des Wettbewerbs.
Star des Turniers
Luis Suárez (Spanien). 1960 machte die aufgeheizte Weltpolitik Suárez und seinem Team einen Strich durch die Titelträume. Vier Jahre später tritt der Offensivstar, der 1961 vom FC Barcelona zu Inter Mailand gewechselt ist, als damals teuerster Spieler der Welt an, um den Traum doch noch wahr zu machen. Mit Erfolg.
Überraschung
Die Überraschung des Turniers steht schon vor Beginn der Endrunde fest. Dänemark hat sich als Außenseiter bis ins Halbfinale gespielt, wo dem Team von Poul Petersen von der Sowjetunion allerdings klar die Grenzen aufgezeigt werden.
Top-Elf des Turniers
Tor: Lew Jaschin (UdSSR), Abwehr: Feliciano Rivilla (Spanien), Dezső Novák (Ungarn), Ignacio Zoco (Spanien), Mittelfeld: Ferran Olivella (Spanien), Walentin Iwanow (UdSSR), Jesús Maria Pereda (Spanien), Sturm: Amancio Amaro (Spanien), Luis Suárez (Spanien), Flórián Albert (Ungarn), Ferenc Bene (Ungarn)