Ostdeutsche Legenden der 90er
Deutschland ist seit 30 Jahren wiedervereinigt, davon profitiert auch die Nationalmannschaft. In einer dreiteiligen Serie stellen wir großartige Spieler aus dem Osten der Bundesrepublik vor. Wir starten mit den 90er-Jahren.
Als im Dezember 1990 gegen die Schweiz erstmals auch ostdeutsche Fußballstars im DFB-Trikot auflaufen, scheint sich Franz Beckenbauers Prophezeiung zu bewahrheiten: Die deutsche Nationalmannschaft werde „auf Jahre unschlagbar“ sein, hatte der „Kaiser“ nach dem Sieg im WM-Finale gegen Argentinien vorhergesagt. Nun ja, die Fußballgeschichte der 90er-Jahre schreibt eine etwas andere Geschichte. Dennoch drücken ihr einige ostdeutsche Kicker einen dicken Stempel auf. Unter anderem diese fünf Legenden der 90er-Jahre.
Der Hitzkopf: Matthias Sammer
Matthias Sammer gilt unbestritten als der erfolgreichste ostdeutsche Fußballer der 90er-Jahre. Schon zu DDR-Zeiten ist der geradlinige Rotschopf ein Star. Beim letzten DDR-Länderspiel am 12. September 1990 führt der gebürtige Dresdner eine Rumpfelf mit zwei Treffern zum überraschenden 2:0-Erfolg in Belgien. Noch im gleichen Jahr ist er beim „Wiedervereinigungsspiel“ der DFB-Mannschaft gegen die Schweiz der einzige Ostdeutsche in der Startelf. Sechs Jahre später führt er das DFB-Team in England zum Europameister-Titel. Dazwischen gewinnt er mit Borussia Dortmund zwei Deutsche Meisterschaften und einmal den Champions-League-Titel. Nach dem EM-Sieg wird Sammer als „Europäischer Fußballer des Jahres“ ausgezeichnet. Legendär sind auch seine Nehmerqualitäten: 1994 weigert er sich, wegen einer tiefen Platzwunde ausgewechselt zu werden und lässt sich lieber am Spielfeldrand tackern.
Das Kraftpaket: Ulf Kirsten
Der gebürtige Riesaer hat die meisten Länderspiele für beide deutschen Staaten absolviert – 49 für die DDR, 51 für die Bundesrepublik. Als DDR-Fußballer des Jahres heuert Kirsten 1990 bei Bayer Leverkusen an. Die Rheinländer zahlten 3,5 Millionen D-Mark Ablöse an Dynamo Dresden. Anpassungsprobleme hat der Stürmer nicht, gleich im ersten Spiel gegen Bayern München gelingt dem Kraftpaket ein Tor. Viele weitere folgen. In 350 Bundesligaspielen netzt Kirsten 182-mal ein. Dreimal gewinnt er die Bundesliga-Torschützenkanone. Dazu kommen 32 Europapokal-Treffer in 54 Partien für die Rheinländer. Und obwohl sein Klub mit Kirsten nur einen Titel – den DFB-Pokal 1993 – holt, adelt selbst Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, den Leverkusener: „Er ist mein legitimer Nachfolger in den 90er-Jahren.“
Der Schnelle: Andreas Thom
Nach der Maueröffnung ist Andreas Thom der begehrteste DDR-Spieler. Kein Wunder: Von 1984 bis 1988 ist er fünfmal in Folge DDR-Meister mit dem BFC Dynamo, 1988 wird er zudem Torschützenkönig in der DDR-Oberliga und Fußballer des Jahres. Reiner Calmund nimmt nur wenige Tage nach dem Mauerfall Kontakt mit dem schnellen Stürmer auf, im Januar 1990 wechselt er als erster DDR-Spieler für eine Ablösesumme von 2,5 Millionen D-Mark zu Bayer 04 Leverkusen. Eine Bundesliga-Legende wie Sammer oder Kirsten wird er nicht, aber 212 Bundesligaspiele, 51 DDR-Länderspiele sowie zehn DFB-Spiele sind trotzdem eine beeindruckende Quote. Und: Andreas Thom ist der erste DDR-Spieler, der ein Tor für die deutsche Nationalmannschaft erzielt – als Einwechselspieler trifft er nach nur 25 Sekunden.
Der Ballkünstler: Thomas Doll
Der Mecklenburger ist zum Zeitpunkt des Mauerfalls einer der schillerndsten Kicker im DDR-Fußball. Bei Hansa Rostock betritt er als 17-Jähriger die große Fußballbühne, mit 20 wechselt er zum BFC Dynamo. Doll zeichnet sich gleichermaßen durch sein außergewöhnliches Ballgefühl wie durch seine Kopfballstärke aus – trotz gerade einmal 1,74 Meter Körpergröße. Zusammen mit Andreas Thom bildet er sowohl in Ostberlin als auch in der DDR-Nationalmannschaft ein erfolgreiches Sturmduo. Im Sommer 1990 wechselt „Dolly“ zum Hamburger SV. Und nach starker Debütsaison und 15 Torbeteiligungen geht es gleich weiter nach Italien. Lazio Rom lässt sich den Lockenkopf die damalige Rekordsumme von 15 Millionen D-Mark kosten. In der DFB-Elf kommt Doll zwischen 1991 und 1993 zu 18 Einsätzen – mit der Vize-Europameisterschaft 1992 als Höhepunkt.
Die Zaubermaus: Dariusz Wosz
Dariusz Wosz ist eine der Bundesliga-Kultfiguren der 90er- und 2000er-Jahre. Und das, obwohl die Jugendtrainer den gebürtigen Polen eigentlich als zu schmächtig und klein einschätzten. Wosz schafft es trotzdem zum Profi. Erst für den Halleschen FC Chemie in der DDR-Oberliga, später in der Bundesliga. Besonders beim VfL Bochum sorgt die 1,69 Meter kleine „Zaubermaus“ für Furore. In der Saison 1996/97 führt Wosz den Ruhrpott-Klub als Kapitän bis in den UEFA-Cup. Nach seinem Wechsel zu Hertha BSC und einer starken Debütsaison spielt er zehnmal in der Champions League. Insgesamt stehen in seiner Vita 67 DDR-Oberligaspiele, 324 Bundesligaspiele, sieben DDR-Länderspiele und 17 für das vereinigte Deutschland. Sein Tor im Freundschaftsspiel gegen Israel am 26. Februar 1997 bleibt aber sein einziger Treffer im DFB-Dress.