Fußball, das können wir alle
Wer sagt, dass man beim Fußballspielen sehen muss? Hören muss? Beide Beine braucht? Handicap-Fußball zeigt, wie viele Gesichter das Spiel hat. Eine Reise durch die Schönheit des Sports in all seinen Facetten.
Gehörlosenfußball
Ein Kampf um den Ball kurz vor dem Strafraum, der Abwehrspieler zieht am Trikot; Foul, denkt der Zuschauer, der zum ersten Mal hier ist; Foul, warum pfeift der Schiedsrichter denn nicht? Dann fällt ihm wieder ein: Das ist ja Gehörlosenfußball. Deshalb winkt der Schiedsrichter mit einer Fahne, um auf den Regelverstoß aufmerksam zu machen. Spieler in der Nähe des Zweikampfs sehen das Signal, machen ihre Mitspieler aufmerksam. Der Zweikampf endet. Es gibt Freistoß für das angreifende Team.
Gehörlosenfußball ist die Form von Handicap-Fußball, die dem Standard-Fußball am nächsten kommt. Gespielt wird nach den normalen FIFA-Regeln – 90 Minuten Spielzeit, das gleiche Spielfeld, dieselbe Anzahl Spieler. Der zentrale Unterschied ist die Kommunikation durch und mit dem Schiedsrichter. Der nutzt wie oben beschrieben zusätzlich oder alternativ eine Fahne, wie sie sonst Schiedsrichterassistenten verwenden, um auf Fouls oder andere Verstöße aufmerksam zu machen.
Gehörlosenfußball ist in Deutschland weit verbreitet: Mehr als 2.000 Spieler sind in über 50 Vereinen aktiv. Teilnehmen bei offiziellen Gehörlosen-Spielen darf, wer eine im Test nachgewiesene Hörbehinderung hat. Einige Mannschaften nehmen zusätzlich zu Partien und Turnieren gegen andere Gehörlose am Spielbetrieb der DFB-Landesverbände teil. Der Hamburger GSV beispielsweise, 2019 Dritter bei der deutschen Gehörlosen-Fußballmeisterschaft, spielt derzeit in der Kreisklasse B3 in Hamburg. Dazu kommen viele Gehörlose, die gemeinsam mit hörenden Mitspielern in Vereinen spielen.
Auch international ist die Community groß und trifft sich regelmäßig zu Wettkämpfen. Schon seit 1924 werden die „Deaflympics“ ausgetragen, bei denen von Anfang an Fußball auf dem Programm stand. Beim letzten Mal holte die deutsche Mannschaft nach zuvor vier Medaillengewinnen in Folge „nur“ den fünften Platz.
Blindenfußball
Eigentlich sind beim Fußball die Fans lauter als die Spieler und Trainer. Beim Blindenfußball ist es genau andersrum: Während die Zuschauer hier um Ruhe gebeten werden, leiten Trainer und sogenannte Guides lautstark die Spieler an, die sich wiederum mit „Voy“-Rufen bemerkbar machen. Das verhindert schmerzhafte Zusammenstöße. Kurz: Hier ist der Geräuschpegel auf dem Platz höher als auf den Rängen.
Auch sonst ist das Spiel etwas anders. Die Mannschaft besteht aus vier Feldspielern und einem Torhüter. Während die Feldspieler vollblind sind oder bei einer Restsehstärke verdunkelnde Brillen tragen müssen, können die Torwarte sehen. Dazu tragen alle Spieler einen Kopfschutz. Der Ball ist etwas kleiner und viel schwerer als ein „normaler“ Fußball, weil er über Metallplatten und Kugeln verfügt. Das sorgt dafür, dass er beim Bewegen wie eine Rassel klingt und so für die Spieler leichter zu orten ist. Der Platz ist 20 mal 40 Meter groß, also etwas kleiner als ein halbes Fußballfeld. Die Tore sind Handballtore (drei Meter breit, zwei Meter hoch), die Seiten des Spielfelds sind durch Banden begrenzt. Gespielt werden zwei Halbzeiten à 20 Minuten reine Spielzeit.
In Deutschland gibt es seit 2008 eine Blindenfußball-Bundesliga mit sechs Mannschaften. Deutscher Meister 2019 wurden die Sportfreunde Blau-Gelb Marburg, die im Finale 4:2 nach Elfmeterschießen gegen den FC St. Pauli gewannen.
Amputiertenfußball
Don Bennett aus Seattle (USA) hat bei einem Bootsunfall ein Bein verloren, läuft seither auf Krücken. Anfang der 1980er-Jahre sieht er seinem Sohn beim Basketballtraining zu. Als der Ball in seine Richtung rollt, stützt er sich auf seine Krücken auf, holt Schwung und spielt den Ball mit seinem gesunden Bein in Richtung seines Sohnes. Ein Heureka-Moment – denn was mit einem Basketball geht, denkt Bennett, geht noch viel besser mit einem Fußball. Die Idee zu einem Spiel war geboren, das knapp 40 Jahre später auf der ganzen Welt gespielt wird: Amputiertenfußball.
Beim Amputiertenfußball spielen Menschen mit fehlenden Gliedmaßen – den Feldspielern fehlt ein Bein oder ein Teil davon, dem Torhüter ein Arm oder ein Teil davon. Prothesen sind nicht gestattet. Die sechs Feldspieler bewegen sich mit Gehhilfen über den Platz und dürfen den Ball nur mit dem Fuß spielen. Pässe oder Annahmen mit den Gehhilfen sind verboten. Gespielt wird meist – hier unterscheiden sich die Vorgaben von Verband zu Verband – auf einem 51 mal 31 Meter großen Feld; die Tore sind in der Regel Handballtore. Eine Halbzeit dauert 25 Minuten. Der Ball ist ein normaler Fußball.
Während in Deutschland nur wenige Dutzend Menschen Amputiertenfußball spielen, ist das Spiel in anderen Ländern weiter verbreitet – etwa in der Türkei, in England, in Usbekistan oder auch in Brasilien. Regelmäßig finden im Amputiertenfußball Weltmeisterschaften statt. 2018 sicherte sich eine Mannschaft den WM-Titel, die im regulären Fußball nur einmal an einer Weltmeisterschaft teilnahm: Angola.
Sitzfußball
Für Menschen mit einem Bein gibt es neben Amputiertenfußball eine weitere Möglichkeit, Fußball zu spielen: Sitzfußball.
Sitzfußball wird in der Halle gespielt; das Spielfeld hat eine maximale Größe von 28 mal 14 Metern. Gespielt wird auf drei Meter breite und 1,40 Meter hohe Tore. Sechs Feldspieler und ein Torhüter bilden eine Mannschaft. Während die Spieler sich ausschließlich im Sitzen fortbewegen dürfen, kann der Torwart auch kniend Bälle abwehren. Bei Turnieren beträgt die Spieldauer zwei mal zwölf Minuten.
Im Vergleich zu Amputiertenfußball ist Sitzfußball deutlich weniger verbreitet. In Deutschland und Österreich gibt es aber eine Handvoll Mannschaften, die regelmäßig Turniere austragen.
Illustrationen: Simon Bonnen, Diana Brkovic, Julia Scholz