Günter Netzer
Es gilt als eines der besten Fußballspiele, die es in Deutschland je gab. Die Rede ist vom DFB-Pokalendspiel zwischen dem 1.FC Köln und Borussia Mönchengladbach. Am 23. Juni 1973 standen sich die beiden Lokalrivalen in Düsseldorf gegenüber. Die Borussen hatten eine für sie enttäuschende Saison gespielt, an deren Ende der fünfte Platz stand. Ein Grund dafür waren die durchwachsenen Leistungen von Gladbachs Spielmacher Günter Netzer. Dass kurz vor dem Spiel bekannt wurde, das er den Verein nach der Saison Richtung Real Madrid verlassen würde, machte die Sache auch nicht besser. Und so kam es, dass Gldbachs Cheftrainer Hennes Weisweiler Netzer einen Tag vor dem Spiel mitteilte, dass er nicht in der Startformation stehen würde. 90 Minuten saß der Star der „Fohlen“ dort und sah ein mitreißendes Spiel beider Teams. 1:1, Verlängerung. Nach einem kurzen Austausch mit seinem erschöpften Mitspieler Christian Kulik entschied Netzer, dass es Zeit für ihn war, ins Spiel einzugreifen. Mit den Worten „Ich spiel‘ dann jetzt“, wandte er sich an Weisweiler und trabte aufs Feld.
Stimmung gegen den Trainer
Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Keine fünf Minuten später traf Netzer zum 2:1-Endstand und wurde zur Legende. Er hat die Geschichte dieses Abends seither unzählige Male erzählt und dabei stets versucht, mit dem Märchen vom gestrengen Herrn Cheftrainer und seinem verkannten Schüler aufzuräumen. Denn die Zuspitzung auf die Selbsteinwechslung war nicht Hennes Weisweilers Schuld gewesen. Er hatte Netzer zwar nicht in die Startelf beordert, was Netzer „sehr mutig“, aufgrund konditioneller Mängel aber berechtigt gefunden hatte. In der Halbzeit hatte Weisweiler seinen Spielmacher jedoch dazu aufgefordert, sich einwechseln zu lassen. Die Fans nämlich mochten ganz und gar nicht einsehen, dass ihr Publikumsliebling fehlte, und machten Stimmung gegen den Trainer.
„Ich spiele nicht“
Doch Netzer kooperierte nicht. „Ich spiele nicht“, sagte er. Nicht, weil er beleidigt gewesen wäre, sondern weil er die Überzeugung vertrat, dass die Mannschaft, für die er zehn Jahre gespielt hatte, ohne ihn besser dran war. „Ich kann ihr nicht helfen. Ich wäre ein Fremdkörper, es läuft ideal“, ließ er Weisweiler wissen, und blieb auf der Bank. Dort hielt er es aber bekanntlich nur eine Halbzeit lang aus. Als der damals 28-Jährige den Rasen später eigenmächtig betrat, habe er „rein intuitiv“ gehandelt und keine Sekunde darauf verschwendet, sich eine Heldengeschichte zusammenzufantasieren. Auf das Gegenteil verzichtete er ebenfalls. „Dabei war doch vorprogrammiert, dass es schief gehen würde. So vermessen kann ja kein Mensch sein“, sagt er heute fast ungläubig. Den Spielausgang nennt Netzer „das größte Glück meines Lebens auf dem Fußballplatz“.
Skandal mit Verspätung
Des einen Glück war des anderen Leid: Gladbach holte zwar den Pokal, doch Weisweiler war der Dumme. Netzer trat nicht nach. „Ich habe ihn in Schutz genommen, weil er zu viele Verdienste um mich hatte. Er hat mich und die Mannschaft gemacht. Ich habe ihm ganz viel zu verdanken“, sagt er. Über die Selbsteinwechslung verlor Netzer deshalb zehn Jahre lang kein einziges Wort. Es ging ihm dabei nicht darum, die eigene Frechheit für sich zu behalten. Um derlei Dinge scherte er sich bekanntlich wenig. „Ich habe mit keinem darüber gesprochen, solange Weisweiler noch lebte“, sagte Netzer dem Magazin 11Freunde, „eine Frage der Ehre.“
Gnade der frühen Geburt
Bereut hat Netzer seine Aktion trotzdem nie. „Das ist jetzt 40 Jahre her und man spricht immer noch darüber, das ist doch unfassbar“, sagt er, „das ist das, was der Fußball braucht: Persönlichkeiten und diese Erlebnisse.“ Er meint das nicht als Angriff auf die aktuelle Profi-Generation, die gelegentlich mal über die Stränge schlägt, nebenberuflich aber eher keine Diskotheken eröffnet. Bezogen auf persönliche Freiheiten weiß Netzer um die Gnade seiner frühen Geburt. Er räumt ein, dass sich unter heutigen Bedingungen wohl selbst er angepasst hätte. Die Pokalgeschichte wäre um eine herrliche Anekdote ärmer.