Jörg Sievers
Pokalheld ist kein Lehrberuf und Jörg Sievers ein bodenständiger Mensch. Sievers hatte deshalb immer einen Plan B in der Hinterhand. Doch er hat wenig Zeit für das zweites Standbein – seine Fußball-Karriere läuft einfach zu gut. Es passt zu ihm, dass alles mit einer schriftlichen Bewerbung begann. Nachdem Hannover 96 in die zweite Liga abgestiegen war, hatte sich Sievers 1989 in einem Brief für die Stelle des Torwarts angeboten. „Und ein paar Tage später klingelte das Telefon“, erinnert er sich. Nach ein paar Wochen war er Hannovers Nummer eins im Tor und sollte diesen Posten 14 Jahre lang nicht mehr verlassen. Während dieser Zeit avancierte er vor allem durch seine Konstanz und Vereinstreue zum Publikumsliebling. Doch es waren zwei Pokal-Abende im Jahr 1992, die dem Hannoveraner Rückhalt große überregionale Beachtung einbrachten.
Endstation für den Titelverteidiger
1992 empfing Hannover im Halbfinale des Pokals Titelverteidiger Werder Bremen. Nach der Verlängerung stand es 1:1. Die Partie ging ins Elfmeterschießen, und nach acht Schützen schlug Sievers’ große Stunde. Als Trainer Michael Lorkowski auf ihn zustapfte, wunderte er sich zunächst. „Ich war irritiert, weil ich dachte: Will er mir jetzt erzählen, wie ich die Bälle halten soll?“, erzählt er. Doch der Coach hatte anderes im Sinn. Er bat Sievers, selbst zu schießen – und der stimmte ohne Zögern zu. Außerhalb seines Kastens fühlte er sich allerdings schnell mehr als unwohl. „Ich wusste in dem Moment eigentlich gar nicht, was ich machen sollte“, gibt er zu, „das Tor wirkte plötzlich wirklich klein und es ging einem durch den Kopf: Was passiert, wenn ich jetzt verschieße?“
Erster Pokal-Sieger aus Liga zwei
Sievers verschoss nicht und stiefelte schleunigst zurück in sein Tor. „Als ich wieder in mein Metier zurück durfte, ging es mir deutlich besser“, sagt er. Er hielt den Elfer von Werders Marco Bode und schrieb so den ersten Teil von Hannovers Pokal-Märchen. Der zweite folgte im Finale, wo Sievers gegen die klar favorisierten Gladbacher mit zwei gehaltenen Bällen im Elfmeterschießen erneut der Matchwinner war. An diesem Abend nahm erstmals in der Pokal-Geschichte ein Zweitligist den Pott mit nach Hause. Bedeutsamer als derlei Statistiken waren für Sievers jedoch die Eindrücke am Finalort. „Das sind Bilder, die man nicht vergisst“, schwärmt er, „das war für uns ja völlig unfassbar, dass wir überhaupt nach Berlin durften.“
Auf Nummer sicher
Dem großen Jubel nach der Sensation folgte eine holprige Saison, und im Abstiegsjahr 1996 stand die Karriere von Sievers wegen interner Querelen gar ganz auf der Kippe. Er blieb nur, weil sich die Mannschaft in der Regionalliga neu formierte. Trotz einiger Angebote von anderen Vereinen wollte er seinen Traum von Hannovers Rückkehr in die deutsche Elite-Klasse nicht aufgeben. „Mein Ziel war immer, mit dem Verein in die erste Liga aufzusteigen. Und das hat ja nun doch sehr lange gedauert – aber letztlich noch geklappt“, sagt er. 2002 wurde er für seine Treue belohnt: In seiner letzten Saison als 96-Torhüter gab er mit 37 Jahren sein Erstliga-Debüt.
Ein Colt für alle Fälle
Obwohl er es auf über 350 Zweitliga- und 17 Erstliga-Spiele bringt, verließ sich Sievers nie ganz auf den Sport. Als Stammtorhüter hatte er bereits im Jahr 2000 mit einem Partner eine Firma für Versicherungs- und Finanzplanungskonzepte gegründet. Seinen Abschluss zum Versicherungsfachmann absolvierte er während einer Sommerpause. Sievers ist seither einer von zwei Geschäftsführern der Firma. Aus dem geplanten Vollzeit-Job nach der aktiven Karriere wurde jedoch bisher nichts. Denn Sievers wechselte im Sommer 2003 vom Hannoveraner Rasen direkt auf den Posten des Torwart-Trainers. Ein paar Mal kehrte er sogar noch ins Tor zurück. Getreu seinem Spitznamen Colt, der sich von der US-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ um den Haudegen Colt Seavers ableitet, half er der zweiten Mannschaft bis 2010 bei akutem Bedarf als Torhüter aus.